Nach langen internen Diskussionen verkündet die Pickelhaube hiermit ihren Abschied von der studentischen Publizistik und vom politischen Kampf. Der Grund: Der politische Gegner. Denn unser Dasein hängt von unserem Antagonisten ab, und zwar, wie wir es sehen, in zunehmend starrer Form. Wir aber wollen nicht als reine Negation bestehen. Das klingt bescheuert? Der folgende Artikel möge Klarheit verschaffen, hofft Ewald Knülle
In der Soziologie oder generell in den Kulturwissenschaften ist es eine Binsenweisheit: Identitätsbildung wird durch Abgrenzung verstärkt bzw. erfolgt überhaupt erst durch sie. Im Klartext also: Ich bin ich, weil ich nicht bin wie andere.
Dies gilt für die individuelle Ebene und umso mehr für die kollektive. Dem Menschen ist ja der Trieb zur Gruppenbildung inhärent; um aber mit Unbekannten ein Gemeinschaftsgefühl, ein Wir-Bewusstsein zu entwickeln, bedarf es oftmals eines ‚anderen‘ – eines Feindes, wie Carl Schmitt sagen würde.
Leute, die darüber Bücher schreiben, sprechen von kontrastiver oder antagonistischer Solidarisierung. Mittels dieser produziert etwa der Feminismus eine kollektive (weibliche) Identität; er schafft über das Feindbild ‚Patriarchat‘ erst das Bewusstsein von gemeinschaftlichem ‚Wir‘ unter Frauen, die sich nie gesehen und sich bislang nie als Kollektivsubjekt empfunden haben. Also gilt: Der Antagonist schafft das Subjekt.*
Nun ist ja seit Bestehen der Pickelhaube unser Antagonist die politische Linke, genauer: Die radikale, antinationale, antirationale, antikapitalistische, mit totalitärem Gestaltungsanspruch auftretende Uni-Linke, als deren Verkörperung man den AStA-Vorsitzenden Jonas Thiele betrachten darf. Der alltägliche Brechreiz angesichts der unsäglichen Selbstgerechtigkeit dieser Hobby-Unterdrücker hat uns erst bewogen, jene grottigen Schrifterzeugnisse zu verfertigen, mit denen wir seit nunmehr über einem Jahr die Leserschaft beglücken. Kurzum: Ohne diese possierlichen Politclowns gäbe es uns erst gar nicht.
Die Pickelhaube ist also ein Paradebeispiel für antagonistische Solidarisierung. Wenn aber der Antagonist das Subjekt schafft – verfügt dann das Subjekt noch über Autonomie? Wie sehr sind Markward und ich eigentlich noch wir selbst, wenn wir uns als Gegenbild zum Hochschul-Antifantentum begreifen?
Denn Identitätsbildung über Antagonismus kann ja dem Individuum jegliche Eigenheit, jede ursprüngliche Individualität nehmen, es zwingen, allein in der Reaktion auf den Antagonisten zu bestehen. Wer sich nämlich primär über Abgrenzung definiert, verliert sein Eigenleben und besteht einzig in der Negation. Um zwecks Beispiel nochmals auf den Feminismus zurückzukommen: In einer Gesellschaft, die so wenig misogyn ist wie wohl keine andere jemals existente, muss der Feminismus auch gegen alle Realitäten ständig neue kollektivmännliche Unterdrückungsmechanismen ausmachen und bekämpfen – andernfalls verliert er seine identitätsbildende Kraft, hört auf zu bestehen. So zwingen antagonismusgezeugte Identitäten dem Individuum bestimmte Denkmuster auf und erheben den Erzfeind zum wesensbestimmenden Bezugspunkt.
Das droht auch uns. Würden etwa die hiesigen Campusgrünen sich gegen Robbenjagd in Kanada aussprechen, wäre mein erster Reflex, das sofortige Abschlachten aller dortigen Robbenbabys einzufordern.
Denn ein Blog wie dieser entfaltet eine beträchtliche Eigendynamik; jedem Blogautor wird das Phänomen bekannt sein. Das Problem aber ist: Ich habe eigentlich gar nichts gegen Robbenbabys. Kein Robbenbaby hat jemals in meiner Gegenwart gefordert, im Interesse von Demokratie und Freiheit Bahnanlagen zu sabotieren. Auch stammt meines Wissens die Auffassung, soziale Marktwirtschaft und Rechtsstaat seien Repressionsinstrumente einer ökonomisch privilegierten Ausbeuterklasse, nicht von einem Robbenbaby, sondern von Jonas Thiele.
Ich will also nicht gegen Robbenbabys argumentieren, nur weil jemand wie Jonas Thiele sie schützen möchte. Genauso sieht es Markward – der Gedanke, dass wir gewissermaßen nichts sind als Geschöpfe der universitären Spaßguerilla, ist uns unerträglich.
Außerdem wäre da der Aspekt des Anstandes gegenüber den politischen Widersachern. Unserer Geringschätzung für diese fleischgewordenen Dekadenzsymptome haben wir stets mit Genuss Ausdruck verliehen. Doch wie angemessen ist es eigentlich, sich öffentlich über andere Menschen zu belustigen? Sind wir nicht mittlerweile sogar, anstatt nur eines Gegenbildes, ein Spiegelbild (seitenverkehrt, aber wesensgleich) unseres Antagonisten geworden, der nur gegen etwas sein kann und mit Hetzkampagnen die berufliche und soziale Existenz seiner Opfer zu vernichten sucht?
Wir wollen nicht länger maliziösen Schabernack verbreiten, denn das – so haben wir in langen Gesprächen einmütig beschlossen – gehört sich einfach nicht, insbesondere dann nicht, wenn man sich konservativ wähnt. Besser ist der Rückzug auf die Marmorklippen, von wo aus man den Untergang der Marina allerhöchstens mit distinguiertem Naserümpfen kommentiert. Natürlich ist uns die Pickelhaube mittlerweile doch sehr ans Herz gewachsen, ganz egal, wie bescheiden die Artikel im Einzelfall sein mögen. Doch wir haben einfach zunehmend das Gefühl bekommen, dass wir unser Selbst auf die reine Negation reduzieren, dass wir etwas sehr Unfeines, etwas Unwürdiges tun. Daher endet mit diesem Artikel das Projekt Pickelhaube.
Und fürderhin ist uns die Hochschullinke vollkommen gleichgültig, ganz egal, was man dort über Robbenbabys oder Kapitalismus zu sagen hat. Wir nehmen uns ein Beispiel an Joachim Fest und ertragen die Clowns.
Dank an alle Leser und Kommentatoren; Dank an Carlo und die BN; danke an die B! Germania für ihre wiederholt gewährte, herzliche Gastfreundschaft; Dank auch an Michael Klonovsky (der uns natürlich nicht kennt), diesen so erquicklichen, unaufhörlich aphorismensprudelnden Inspirationenquell. Schließlich noch ein ganz besonders herzlicher Dankesgruß an Thomas, für die Einladung nach Berlin und die Organisation eines in jeder Hinsicht gelungenen Tages.
Für die Redaktion
Ewald Knülle, 14. 12. 2011
*Vgl. Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 62007, S. 133f. (hier auch das Beispiel des Feminismus. Den antifaschistischen Hobby-Inquisitoren unter unseren Lesern sei an dieser Stelle gesagt, dass Assmann in keinster Weise der politischen Rechten zuzuordnen ist, ersparen Sie sich also eventuelle Diffamierungsaktionen).